Kaizen Art ist mir bereits auf der AVS 2022 aufgefallen. Sie ist eine dieser kleinen Marken, für die es meiner Meinung nach lohnt, sich ins Auto zu setzen und nach Polen zu fahren. Vorausgesetzt, man selbst oder ein Freund spricht polnisch. Der vorgeführte Lautsprecher Ancient Deva basiert auf einem 17-Zentimeter-Tiefmitteltöner mit zusätzlicher Passivmembran, gepaart mit einer recht großen 3-Zentimeter-Kalotte im Horn. Das Gehäuse wird aus Eichenplanken und HDF-Versteifungen hergestellt, die Lautsprecherfront von der Warschauer Künstlerin Pastisz Design handbemalt. Mit ihrer offenen, ruhigen und unbeschwerten Wiedergabe war die Deva einer meiner Lieblingslautsprecher der Messe. Der aufgerufene Preis von 9.800 Złoty (2.300 Euro) war schwer begreifbar, aber ohne Vertriebsnetzwerk und bei geringem Werbeaufwand scheint das in Polen möglich zu sein.
In Zusammenarbeit mit Wilk Audio entstehen bei Blade Brothers Lautsprecher aus alten Windräderflügeln. Der ungewöhnliche Materialmix der Flügel macht sie bereits für ihren ursprünglichen Einsatzzweck besonders widerstandsfähig und rigide und eignet sich deshalb auch ideal als Lautsprechergehäuse. Es werden zwei verschiedene Größen aus den Flügeln gesägt und Gehäuse daraus gefertigt. Für beide werden Einführungspreise angeboten: 25.000 Złoty für das kleinere und 35.000 Złoty für das größere Modell. Farblich können die Lautsprecher frei nach den Vorstellungen des Käufers gestaltet werden. Auf Wunsch wird Künstlerin Magdalena Gawęcka aktiv und nutzt die Lautsprechergehäuse als Leinwand.
Lirogon geht das Thema Elektrostat neu an. Jacek Gburczyk, eine treibende Kraft hinter dem Projekt, führte mir den Vollbereichselektrostaten Origin vor. Anhand des ausgestellten Modells ohne Frontbespannung lässt sich der Aufbau sehr gut nachvollziehen. Im oberen Bereich befindet sich das Hochtönerpanel bestehend aus einem Hoch- und einem Ultrahochtöner auf der äußeren Seite. In der Mitte befindet sich das Mitteltönerpanel. Alle anderen vier Panels sind für den Bassbereich vorgesehen. Jedes der Panels gibt zwar das gesamte Frequenzspektrum wieder, durch die händische Justage der Einspannungskraft eines jeden Panels können Frequenzbereiche betont werden. Speziell für die Basspanels ist das relevant. Dadurch, dass sie alle vier auf einen eigenen Hauptfrequenzbereich getunt werden, ergänzen sie sich zu einem linearen Bassbereich. So kann auf den Einsatz einer Frequenzweiche für den Origin vollkommen verzichtet werden. Ihr -3-dB-Punkt liegt bei 45 Hertz. Über die Drehregler auf der Front lässt sich durch mechanisches Bewegen der Hochtönermembran eine Verstärkung von ±5 dB realisieren und der Lautsprecher an den Raum anpassen. Über den mächtigen Einstellbolzen auf der Rückseite lässt sich der Elektrostat je nach Hörabstand passend anschrägen. Davon, dass dies butterweich und nahezu widerstandslos von Statten geht, konnte ich mich selbst überzeugen. Da der Lautsprecher nicht eben leicht ist, wurde außerdem eine kluge Tragehilfe samt Schultergurt konzipiert, die mir Jacek Gburczyk ebenfalls vorführte. Kleine Details wie die in den Rahmen eingelassenen Kabel zeugen vom an den Tag gelegten Perfektionismus. In der Bodeneinheit sind die für den Betrieb notwendigen Trafos untergebracht. Sie lassen sich von nahezu jeder Endstufe antreiben. Je mehr Spannung, desto besser. Die Gesamtleistung in Watt ist für den Antrieb der Origin weniger relevant. Ein Paar der Ausnahmelautsprecher soll 100.000 Euro kosten.
Lockwood ist ein weiterer traditionsreicher britischer Hersteller, den ich bisher komischerweise übersehen habe. Nach einer Produktionspause wurde das Unternehmen 2017 von Daniel Timms, dem Enkel des Firmengründers Stanley Timms wieder zurück ins Leben gerufen. Die Firmengeschichte begann bereits in den 1930er Jahren und die Grundidee einer Punktschallquelle in Form eines Koax-Lautsprechers hat sich bis heute nicht verändert. Die Produktionsverfahren selbst wurden zwar modernisiert, aber die meisten der Lautsprecher sind konzeptionell sehr nah an ihren Vorbildern aus dem vergangenen Jahrhundert. Der LE1 beispielsweise geht auf das Jahr 1958 zurück. Die gesamte Produktion erfolgt in England. Dabei wird einigen interessanten Prinzipien gefolgt: Zum einen bleibt die Geometrie des Tiefmitteltöners bei verschiedenen Durchmessern identisch. Es wird gewissermaßen einfach der gewünschte kleinere Durchmesser aus dem größeren Treiber herausgeschnitten. Die Hochtöner – bei kleineren Modellen in 1 Zoll, bei größeren 2 Zoll – sitzen hinter einem Horn, das durch den langhubigen Tiefmitteltöner noch verlängert wird. Dass man damals ohne Computersimulation eine passende Hornabstimmung gefunden hat, die, wenn sie wirklich kaum verändert wurde, auch heute noch von sich reden machen kann, hinterlässt Eindruck. Es werden in der Produktion zunächst unabhängig voneinander Tiefmittel- und Hochtöner zueinander gematched, dann zu einem Koaxtreiber vereint. Anschließend werden die entstandenen Treiber wieder paarweise gematched. Alle Produkte nutzen dasselbe Anschlussterminal. Besonders bei den kleinen Modellen sind farbige Exemplare Tradition. Aus Lockwoods Historie heraus befanden und befinden sich noch heute viele der Lautsprecher in Tonstudios und zu Hause bei Musikern – teilweise in bunten Farben. Marketing Manager Paul O’Farrell-Stevens hat sich zur Aufgabe gemacht, zurückverfolgen, welche Musikstücke auf Lockwood Lautsprechern entstanden sind. Die daraus entstandene Liste findet sich auf der Herstellerwebsite. „Das macht die Marke nämlich wirklich besonders.“, sagt Paul O’Farrell-Stevens „Mit ihnen kann man die Musik nicht hören, wie der Künstler es beabsichtigt hat, sondern so, wie es der Künstler damals selbst im Studio – oder, wenn er ein Paar Lockwoods besaß, zu Hause – gehört hat.“