tests/22-12-13_vtl
 

VTL IT-85

13.12.2022 // Carsten Bussler

Rein technisch gibt es auf den ersten, oberflächlichen Blick nichts allzu Aufregendes zu entdecken. Die Eingangsstufe bilden zwei kleine 12AU7 Doppeltrioden, als Treiber folgen vier 12AT7, die allesamt von JJ stammen. Diese wiederum befeuern die vier in Gegentaktschaltung arbeitenden EL34 Pentoden von Electro Harmonix. Die laufen im Ultralinearmodus, lokale Gegenkopplung, Ausgangsleistung circa 60 Watt. Umschaltbarer Triodenmodus? Fehlanzeige. Röhrengleichrichtung? Nix da. Und anstatt leckerer New Old Stock Röhren sind zudem die üblichen Verdächtigen neueren Produktionsdatums in die direkt auf die große Hauptplatine gelöteten Standard-Röhrenfassungen eingestöpselt. Schaltungslayout am Computer anstatt freie Verdrahtung inklusive kunstvollem Löthandwerk also. Noch konnte ich mich nicht so recht begeistern für diesen ja doch sehr knuffigen Verstärkerquader. Zumal auch die Lautsprecherklemmen keine Wahl lassen zwischen vier oder acht Ohm Lautsprecherimpedanz, die Übertragerwicklungen geben als Kompromisslösung fixe fünf Ohm vor. Spätestens jetzt kam ich ins Grübeln und kratzte mir irritiert die Stirn. Einfache Hausmannskost also, nur ein weiterer und auf den ersten Blick auch noch ambitioniert bepreister Standard-EL34-Verstärker, die es gefühlt wie Sand am Meer gibt? Wie sehr ich mich getäuscht hatte, sollte ich erst später erfahren. Jedenfalls setzen die Amis ihre auf der eigenen Webseite erläuterte Philosophie – „What We Believe“ – konsequent um: hohe Ausgangsleistung, eine einfache Schaltung, kurze Signalwege und hochwertige Bauteile. Wobei ernsthafte Röhrenfreaks das ja durchaus anständige Röhrenensemble von JJ und Electro Harmonix kurzerhand gegen feine NOS-Derivate austauschen werden, denn hier schlummert doch ein gewisses Potenzial hinsichtlich der Bauteilqualität.

Die Fernbedienung aus Kunststoff für die Basisfunktionen ist vergleichsweise simpel, gleichwohl erfüllt sie ihren Zweck
Die Fernbedienung aus Kunststoff für die Basisfunktionen ist vergleichsweise simpel, gleichwohl erfüllt sie ihren Zweck

In Sachen Ausstattung kommt der VTL IT-85 durchaus komfortabel daher. Mit der etwas einfachen Kunststofffernbedienung lässt sich bequem die Lautstärke bedienen oder gleich der ganze Verstärker in den Stumm-Modus versetzen. Weitere Funktionen lassen sich zwar nicht aus der Ferne steuern, aber für meinen Geschmack ist diese praxisgerechte Beschränkung auf das Wesentliche der richtige Weg, anstatt den kleinen Geber mit zu vielen Knöpfen zu überladen und die Bedienung dadurch zu umständlich werden zu lassen. Tatsächlich ist die Notwendigkeit zum Umschalten der Eingangsquellen aus der Ferne ohnehin nicht nötig, von denen es übrigens fünf an der Zahl gibt. Dabei handelt es sich ausschließlich um Hochpegelquellen inklusive eines klassischen Tape-Eingangs, zu dem es konsequenterweise auch einen Tape-Out-Ausgang gibt. Darüber hinaus ließe sich der VTL per externer Vorstufe auch als reine Endstufe nutzen. Außerdem gibt es noch einen mit Pre-Out bezeichneten Cinch-Ausgang, um beispielsweise einen zusätzlichen aktiven Subwoofer anzusteuern. Und wer in nächtlichen Hörsessions seine Familie oder die Mitbewohner nicht nerven will, für den hält der Verstärker auf der Front eine klassische 6,35-Millimeter-Klinkenbuchse für Kopfhörer bereit.

Ein Wort vielleicht noch zu den Röhren beziehungsweise zum Röhrentausch. Nach dem Einschalten des Verstärkers startet die etwa eine halbe Minute dauernde Aufwärmphase, bevor ein gut wahrnehmbar klickendes Relais die Ausgänge freischaltet. Das bedeutet jedoch nicht, dass man den Verstärker sogleich voll aufdrehen sollte. Die Röhren benötigen durchaus fünfzehn bis zwanzig Minuten, um auf ihre volle Betriebstemperatur zu kommen, vorher würde ich ihnen nicht mehr als moderate Zimmerlautstärke zumuten. Diese Faustregel gilt nicht nur für den VTL IT-85, sondern grundsätzlich für jeden Röhrenverstärker.

Allzu motivierte Röhren-Newbies sollten vor Beginn ihrer Tube-Rolling-Karriere beim Wechsel der Endpentoden im VTL IT-85 bedenken, dass hier keine Bias-Anzeige vorhanden ist, die etwaige Hilfestellung geben könnte. Neben den kleinen Öffnungen für die per Schraubendreher zu verstellenden Trimmpotis befinden sich noch die Buchsen mit den Messpunkten für ein Multimeter, um die Röhrenvorspannung für die neuen Röhren korrekt einzustellen. Wer sich damit nicht auskennt, überlässt so etwas lieber einem Fachmann.

Das angewinkelte Gehäuseblech auf der Rückseite beherbergt die Lautsprecheranschlüsse und vereinfacht ein wenig die Kabelage sowie die Zugänglichkeit
Das angewinkelte Gehäuseblech auf der Rückseite beherbergt die Lautsprecheranschlüsse und vereinfacht ein wenig die Kabelage sowie die Zugänglichkeit

Grundsätzlich erweckt das gesamte Verstärkerdesign – insbesondere die eingesperrten Röhren, das Fehlen einer Bias-Anzeige sowie die fixen fünf Ohm Lautsprecherimpedanz ohne weitere Wahlmöglichkeit – auf mich den Eindruck, als sei dies ein Gerät für Musikhörer, für reine Anwender also, die ohne viel technisches Gedöns, mit dem man sich auseinandersetzen müsste, einfach einen erstklassigen Vollverstärker nutzen möchten. Denen es in erster Linie womöglich auch gar nicht so sehr darum geht, dass es unbedingt ein Röhrenverstärker sein muss. Es ist aber einer. Und was für einer!


  • Lumin U2x

    Es war heuer schon das dritte Mal, dass mich Angus Leung und Krey Baumgartl vom deutschen IAD-Vertrieb, der sowohl WestminsterLab als auch Lumin im Portfolio hat, am Sonntag vor der High End besuchten. Diesmal präsentierten sie den U2x. Dessen Test wäre dann mein dritter Bericht über Lumin. Dennoch habe ich neue Fakten über die Firma erfahren. Die Treffen vor der Messe waren zudem nicht die einzigen mit dem Firmenchef von WesterminsterLab. Aber beim ersten Besuch…
    10.06.2025
  • CoolTech revisited: -180 Grad für SSDs

    Schon bei den Gesprächen während unseres ersten Besuchs hatte CoolTech-Chef Wolfgang Lausecker erwähnt, dass einige seiner Kunden auch Festplatten zur Kryo-Behandlung geschickt und von klanglichen Verbesserungen berichtet hätten. Mir erschienen die Auswirkungen der Kälte auf Schallplatten und Kabel aber erst einmal deutlich spannender. Auf Messen, Veranstaltungen von Herstellern und im privaten Bereich habe ich immer mal wieder „normale“ LPs gegen Frozen-Editions gespielt, wobei mir wegen des höheren Informationsgehalts und der besseren Durchzeichnung die zwischenzeitlich auf…
    03.06.2025
  • Finite Elemente Carbofibre° Statement

    Auf einer Reise ins Ruhrgebiet machte ich einen Zwischenstopp in Meschede, wo sich die Produktion von Finite Elemente befindet. Luis Fernandes und Werner Möhring präsentierten die neue Einsteigerserie Pagode Signature M, Carbofibre°-Böden zur klanglichen Optimierung von USM-Haller-Möbeln und eine ultimative Geräteplattform namens Statement. Die akustischen Besonderheiten in meinem Hörraum waren an dieser Stelle ja vor nicht allzu langer Zeit Thema, allerdings ohne näher auf den gefliesten Boden einzugehen, der sich beispielsweise bei der Aufstellung der…
    30.05.2025
  • Palma DHS-1

    Mit dem Palma DHS-1 haben wir mal wieder einen ersten seiner Art im Test bei Hifistatement: Der Kopfhörer mit dynamischem Schallwandler kann mittels einer drehbaren, perforierten Ohrmuschelabdeckung sowohl offen als auch geschlossen betrieben werden. Ein Umschalten ist in Sekunden möglich. Palma ist als Kopfhörerhersteller aus dem Nichts aufgetaucht. Deshalb habe ich mich selbst erst einmal informieren müssen, wie es denn eigentlich zum DHS-1 gekommen ist. Letztendlich stecken mit Pascual und Mario zwei Kindheitsfreunde hinter der…
    26.05.2025
  • TAD-ME1TX

    TAD ist seit vielen Jahren für seine herausragenden Lautsprechersysteme bekannt. Als uns kürzlich Jürgen Timm vom deutschen Vertrieb in der Redaktion besuchte, hatte er die brandneue TAD-ME1TX im Gepäck. Dieses Modell der TAD „Evolution Series“ ersetzt die allseits geschätzte TAD-ME1 die 2016 vorgestellt wurde, und ist der Einstieg in die TAD-Welt. Die Technical Audio Devices Laboratories, Inc. (TAD) wurde 2007 als 100-prozentiges Tochterunternehmen von Pioneer gegründet und gehört unverändert zum Unternehmensverbund, auch wenn Pioneer seine…
    14.05.2025
  • Stenheim Alumine FIVE SX

    Langjährige Hifistatement-Lesern dürften sich daran erinnern, dass die Alumine FIVE vor acht Jahren hier schon einmal Thema waren. In dieser Zeit entwickelten Jean-Pascal Panchard und sein Team die FIVE kontinuierlich weiter, wie die Modellvarianten SE, SX und LE beweisen. Kleiner Spoiler: Für mich spielt die SX in einer deutlich höheren Liga. Damals traten die nicht unerheblich teureren Kawero! Classic und die LumenWhite DiamondLight gegen die FIVE an und machten schnell klar, dass in Sachen Raumdarstellung…
    12.05.2025

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.