tests/22-01-11_keces
 

Keces S300

11.01.2022 // Finn Corvin Gallowsky

Die Vorderseite ist schlicht gestaltet, neben dem eingelassenen Keces-Logo und ein paar Statusleuchten nebst Beschriftung befindet sich nur ein mittiger Powerschalter. Auf der Rückseite tummeln sich jeweils ein Paar Lautsprecherterminals, XLR- und Cinch-Eingang für den linken und rechten Kanal, die Ein- und Ausgänge für eine Trigger-Steuerung, ein Schalter zur Wahl der Netzspannung, die Kaltgerätebuchse, ein Master-Powerbutton und eine Sicherung. Mittig befinden sich drei kleine Kippschalter. Mittels des rechten können die unsymmetrische Cinch-Buchsen oder die symmetrische XLR-Buchsen als Eingang gewählt werden. In der Bedienungsanleitung wird darauf hingewiesen, dass man nicht beide Eingänge gleichzeitig nutzen darf und der kleine Schalter kein Umschalter, sondern lediglich ein Wahlschalter ist – ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail. Der mittlere Schalter dient der Auswahl der Betriebsart. Im Stereomodus werden die Eingangssignale des linken und rechten Kanals über die korrespondierenden Ausgänge wiedergegeben. Im Bi-Amp Modus geben beide Ausgänge das am linken Eingang anliegende Signal aus, um Tiefmitteltöner und Hochtöner eines Lautsprechers mit jeweils einem Ausgangskanal ansteuern zu können. Im Bridged Modus wird ebenfalls das linke Eingangssignal auf beide Ausgänge gegeben, nur muss man diesmal seinen Lautsprecher an beiden Pluspolen anschließen, um die gebrückte Leistung im Mono-Betrieb nutzen zu können. Die Lautsprecherterminals sind aber dementsprechend beschriftet: oberhalb für den Stereobetrieb, unterhalb für den Bridged Modus.

Die kleinen Kippschalter lassen sich praktischerweise auch wunderbar blind bedienen, falls die Endstufe sich in Wandnähe befinden sollte
Die kleinen Kippschalter lassen sich praktischerweise auch wunderbar blind bedienen, falls die Endstufe sich in Wandnähe befinden sollte

Der letzte und linke Schalter, gibt einen Hinweis auf den eigentlichen Clou der S300: Er lässt zwischen High- und Low-Bias-Betrieb wählen. In der Low-Bias-Einstellung läuft die Endstufe im AB-Betrieb. In der High-Bias-Einstellung jedoch liefert sie bis zu fünf Watt pro Kanal an reiner Class-A-Leistung. Ein Class-A-Betrieb ist normalerweise Endstufen der Preiskategorie „unbezahlbar“ vorbehalten, die der durch die benötigte hohe Vorspannung erheblichen Wärmeverlustleistung mit riesigen Kühlkörpern begegnen. Wird mehr Leistung als fünf Watt benötigt, wird diese nahtlos im AB Betrieb generiert. Gerade wirkungsgradstarke Lautsprecher kommen mit fünf Watt sehr weit. Meine Lautsprecher beispielsweise werden mit 93 Dezibel pro 2,8 Volt und Meter angegeben. Die Angabe ist wie üblich nicht ganz unmissverständlich, ich gehe aber mal davon aus, dass dBSPL gemeint sind. Mit fünf Watt Eingangsleistung erreichte mein Lautsprecher in einem Meter Abstand rechnerisch einen Schalldruckpegel von ziemlich genau 100 Dezibel. Natürlich spielen in der Realität noch viele andere Faktoren wie ein dynamisches Musiksignal eine Rolle. Aber zumindest näherungsweise kann man einen Eindruck gewinnen. Überschlage ich jetzt noch ganz grob einen Sitzabstand von zwei Metern bei zwei Lautsprechern, so bleiben am Hörplatz zumindest theoretisch noch etwa 96 Dezibel übrig. Zur Einordnung: Höre ich an meinem Hörplatz mit deutlich erhöhtem Pegel, so dass es noch angenehm, aber wirklich laut ist, beträgt der Schalldruckpegel etwa 75 bis 80 dBA. dBSPL und dBA sind zwar nicht exakt identisch, aber zumindest für ein Musiksignal vergleichbar. Für dBA wird lediglich das menschliche Hörempfinden in die Messkurve einkalkuliert. Bis zum Erreichen von 96 Dezibel fehlen also noch gut 16 Dezibel, was nahezu einer Vervierfachung der empfundenen Lautstärke entspricht. Berücksichtige ich noch die Ungenauigkeit beim Vergleich von dBSPL und dBa, bleibt immer noch mindestens eine Verdopplung der empfundenen Lautstärke. Rein rechnerisch komme ich also mit meinen Lautsprechern bei einer Verstärkerleistung von fünf Watt im Class-A-Modus extrem weit – wenn ihre Empfindlichkeit vom Hersteller ehrlich angegeben wurde.

Im High-Bias-Modus liefert die Endstufe bis zu fünf Watt reine Class-A-Leistung
Im High-Bias-Modus liefert die Endstufe bis zu fünf Watt reine Class-A-Leistung

Zunächst vergleiche ich die S300 im Low-Bias-Betrieb mit meiner NAD C 275BEE: Da diese nur über unsymmetrische Eingänge verfügt, nutze ich an der Keces Endstufe für eine bessere Vergleichbarkeit auch nur diese Eingänge. Der Aufbau und die Handhabung der kompakten Endstufe gestalten sich dabei unproblematisch. Den erste Song, den ich im Direktvergleich zu meiner NAD Endstufe höre, habe ich in den letzten Wochen gefühlt an die Hundertmal gehört, da er mir einfach nicht mehr aus dem Kopf will. Die Band Auri wird als Nebenprojekt von Tuomas Holopainen, Hauptsongschreiber der auch über den Metal-Tellerrand weithin bekannten Band Nightwish, gemeinsam mit seiner Frau Johanna Kurkela und Nightwish-Bandkollegen Troy Donockley betrieben. Der Opener „The Space Between“ des Debütalbums klingt zwar unverkennbar nach Holopainen, aber in Ermangelung deftiger Gitarrenriffs nicht nach Nightwish. Der Kern der Instrumentierung ist viel eher ein nach Achtzigern klingender Synthsound, gewürzt mit einer Prise Folk und garniert mit Johannas Stimme, die zumindest bei mir Schockverliebtheit auslöst. Ohne großes Vergleichen wird sofort klar, dass die S300 die Gesamtwiedergabe auf eine vollkommen andere Qualitätsebene hebt. Es erschließen sich so viel mehr Details und die Endstufe hat meine Lautsprecher über den gesamten Frequenzbereich deutlich besser im Griff. Deren Stärken kommen so noch evidenter zum Tragen, aber leider werden auch ihre Schwächen gnadenlos verstärkt – logisch. Dennoch, so gut habe ich meine Lautsprecher bisher noch nicht spielen gehört. Der hohe Dämpfungsfaktor von über 1500 zwischen 20 Hertz und einem Kilohertz scheint sehr gut mit meinen Lautsprechern zu harmonieren. Das eher im Hintergrund stehende Schlagzeug bekommt mit der S300 richtig Biss und trockenen Druck. Jede einzelne Note des in durchlaufenden Sechzehnteln gespielten (Synth-)Basses erschließt sich in sich mit einer ganz anderen Spannung. Und obwohl ein Sechzehntelnotenwert bei einem Tempo von nicht ganz 120 Beats per Minute wirklich nicht lang und speziell der Bass stark komprimiert ist, hat jeder einzelne Ton ein klar wahrnehmbares Eigenleben. Dieser Eindruck setzt sich über die Mitten fort. Sängerin Johanna Kurkelas Stimme offenbart deutlich mehr Feinheiten. Der obere Mittenbereich wird gestrafft und verleiht dem Gesang etwas mehr Fokus und Präsenz. Der Hochtonpeak meiner Lautsprecher wird leider deutlich hervorgehoben, dennoch klingt der Hochton glaubwürdiger und wirkt viel befreiter in seinem Ein- und Ausschwingverhalten. Mit meiner NAD-Endstufe wirken Streicher und Flöten im späteren Verlauf des Stücks eher artifiziell, wie auch von der Aufnahme vorgegeben. Trotz dieser Mixingentscheidung geraten sie mit der Keces-Endstufe natürlicher und glaubwürdiger. Eine Reproduktionseigenschaft der S300, die als allgemeingültig angesehen werden kann.


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