Das Unternehmen verweigert sich dem in unserer Branche so verbreiteten schneller, höher, weiter, bietet immer noch relativ erschwingliche Tonabnehmer an und beeindruckt durch die Konstanz seiner Modellpalette. Das bisherige Topmodell Ethos zum aktuellen Preis von 1.200 Euro gibt es – wie erwähnt – schon seit sieben Jahren. Mit der SE Variante stößt Goldring nun in bisher unbekannte Preisregionen vor: Es steht mit 1.600 Euro in der Preisliste. Dafür ist unter anderem der kreuzförmige Spulenträger aus schwedischem Weicheisen mit hochreinem Silber- statt Kupferdraht umwickelt. Allerdings muss das SE mit weniger Wicklungen auskommen als das Standardmodell, nicht um Edelmetall zu sparen, sondern Gewicht. Die Reduzierung der Masse der bewegten Teile kommt der Dynamik und der Transientenwiedergabe zugute. Natürlich bedeuten weniger Wicklungen auch weniger Ausgangsspannung. So liefert das Ethos 0,5 Millivolt bei einer Schnelle von füf Zentimetern pro Sekunde, während es beim SE 0,35 Millivolt sind. Um diesen Wert mit relativ wenigen Wicklung zu erreichen, wurde auch das Magnetsystem des SE optimiert: Die Polschuhe werden einem speziellen Prozess unterzogen, der den magnetischen Widerstand reduziert, so dass die Kraft des Neodymium-Magneten besser genutzt wird. Beide Varianten des Ethos besitzen ein Gehäuse aus Flugzeug-Aluminium, das beim SE allerdings schwarz eloxiert wurde. Auch beim Nadelträger wählt Goldring eine klassische Lösung: Der nackte Diamant mit Vital-Line-Contact-Schliff sitzt in einem Aluminiumröhrchen.
Ein gewisses Traditionsbewusstsein zeigt sich auch in der Ausführlichkeit der technischen Angaben. Wo sonst findet man noch Angaben zur äquivalenten Nadelmasse, neben dem reinen Gewicht des Tonabnehmers noch das inklusive Befestigungsschrauben oder neben der dynamischen Nadelnachgiebigkeit noch die statische? Zur Ermittlung der Resonanzfrequenz der Arm/System-Kombination benötigt man die Angabe des Gewichts des Abtasters inklusive Schrauben, die effektive Tonarmasse und die dynamische Nadelnachgiebigkeit bei 10 Hertz. Leider fehlt in den Spezifikationen des Ethos SE auf der entsprechenden Website der Wert der dynamischen Nadelnachgiebigkeit. Das ist eigentlich überhaupt kein Problem, da sie beim Ethos korrekt aufgeführt wurde – vorausgesetzt, man liest die Daten des SE aufmerksam und schaut auch noch mal beim Ethos nach. Das habe ich leider nicht getan, und den Wert der statischen Nadelnachgiebigkeit statt der dynamischen in den Rechner zur Bestimmung der Resonanzfrequenz eingegeben: Kein Wunder, dass ich keinen Arm finden konnte, mit dem das Ethos SE im gewünschten Bereich liegt. Nachdem ich meinen Irrtum bemerkt hatte und die richtige Zahl – 15 Mikrometer pro Millonewton, ein recht hoher Wert für einen Moving-Coil Tonabnhmer – eingegeben hatte, war schnell klar, dass das Ethos SE in Sachen Resonanzfrequenz sehr gut mit dem SME V harmonieren, der kurze, aber schwerere Einstein-Arm aber auch noch keine Probleme bereiten sollte. Ich entschied mich, das Goldring zuerst in den Tonarm aus England zu montieren.
Goldring empfiehlt eine Abschlussimpedanz von 100 Ohm, für Einsteins The Turntable's Choice besitze ich jedoch nur Abschlussstecker für 85 und 150 Ohm. Ich beginne mit dem niedrigen Wert und lege wie bei fast jedem Tonabnehmertest Art Farmer und Jim Halls Big Blues auf: Schon nach den ersten Minuten weiß ich, dass die Beschäftigung mit dem Ethos SE mehr Vergnügen als Arbeit sein wird. Die gelungene tonale Abstimmung lässt einen in den Klangfarben von Flügelhorn und Vibraphon schwelgen. Die Bass Drum kommt mit Volumen und Druck, der Bass vereint Fülle mit Präzision, die Gitarre und das Horn verwöhnen mit realitätsnahen Transienten. Während ich bei „Whisper Not“ mit dem Sound der Becken noch ein wenig fremdle – die Höhen werden etwas grobkörniger gezeichnet, als es der verwöhnte Autor es von mehrfach teureren Abtastern kennt –, integriert sich der Hochtonbereich bei „A Child is Born“ zunehmend unauffälliger ins musikalische Geschehen. Auch wenn das geöffnete Tütchen für die Schrauben und den Inbusschlüssel den Schluss nahelegen, dass das SE schon einige Betriebsstunden sammeln durfte, brauchte es wohl einige Umdrehungen, um nach längerer Spielpause wieder die nötige Geschmeidigkeit des Dämpfungsgummis zu erlangen. Das Titelstück zeigt dann, dass das Goldring auch in puncto Rhythmus und Spielfreude nichts anbrennen lässt. Es erinnert im besten Sinne das Ortofon SPU – mit dem nicht unbedeutenden Unterschied, dass das SE für diesen Groove und den satten Klang keine Auflagekraft von vier Gramm benötigt, sondern sich mit grade einmal 1,75 Gramm begnügt. Auf „Pavane For A Dead Princess“ zeigt dann der Hallraum, in den das Flügelhorn eingebettet ist, dass das Ethos SE auch filigrane Informationen zuverlässig transportiert.