CanJam 2018: Messerundgang mit Finn Corvin Gallowsky – Teil 1

28.05.2018 // Finn Corvin Gallowsky

Die CanJam Europe fand unweit vom MOC, dem Hauptveranstaltungsort der High End, im Kohlebunker statt. Einige Aussteller von dort traf man gleichermaßen auf der High End, so umfasst dieser Bericht auch einige Produkte, die ich außerhalb der CanJam gefunden habe und versteht sich als Special zu mobilem Audio.

Meine persönliche portable Audiogeschichte hat vor vielen Jahren, noch zu meiner Schulzeit, mit einem MP3-Player begonnen. Sage und schreibe 128 Megabyte Speicherplatz standen mir für einen Querschnitt durch meine Musikbibliothek zur Verfügung. Während meine Freunde ihre iPods und Co nach und nach zu Hause liegen ließen und Musik auf ihren Smartphones hörten, habe ich an einem zusätzlichen Gerät in meiner Tasche festgehalten. Einige Jahre und viele Geräte später begleitet mich nach wie vor ein portabler Player, dem ich allerdings auch zu Hause mit großer Freude lausche: ein FiiO X7 Mark II mit AM3A-Modul. Die meisten MP3s mussten inzwischen verlustfreien, hochaufgelösten flac- und dsf-Daten weichen. Meine Begeisterung für In-Ears ist ebenfalls unveränderlich stark ausgeprägt: Ich ziehe sie in den meisten Fällen Kopfhörern sogar vor. Aktuell sind angepasste Vision Ears VE6 X2 meine Haupthörer, obwohl ich die Produkte vieler anderer Hersteller ebenso schätze und teilweise sehr gerne höre. Somit sind meine persönlichen VE6 für Vergleiche während der Messe meine Referenz. Außerdem teste ich die meisten In-Ears an meinem eigenen Player. Ausgewachsene Kopfhörer hingegen höre ich in nahezu allen Fällen an den bereitgestellten Kopfhörerverstärken, zu groß ist die Vielfalt an benötigten Anschlüssen. Da komme ich mit den drei- und zweieinhalb-Millimeter-Klinkenbuchen des FiiO einfach nicht hinterher.

Auf dem Kopfhörermarkt findet man inzwischen weit mehr Technologien als das altbekannte Elektrodynamische Prinzip. Sowohl elektrostatische als auch magnetostatische Kopfhörer sind keine Seltenheit mehr. Im In-Ear-Sektor dominieren nach wie vor elektrodynamische und Balanced-Armature-Treiber, teilweise als Hybridsystem gleichzeitig in einem Hörer anzutreffen. Elektro- und magnetostatische Prinzipien sind in diesem Bereich noch sehr neu und nicht weit verbreitet.

Die meisten hochwertigen Kopfhörer sind aufgrund ihrer Bauart und Leistungsanforderungen an den Kopfhörerverstärker eher für den Heimgebrauch konzipiert. Im In-Ear-Sektor ist aufgrund kleinster Bauformen und relativer Anspruchslosigkeit an den Verstärker eine ganz andere Freiheit gegeben. Die Möglichkeit meine gesamte Musikbibliothek immer und überall in einer Qualität zu genießen, die meiner Anlage zu Hause kaum nachsteht, ist eine Wohltat. Natürlich ist die Wiedergabe über In-Ears (und Kopfhörer) nicht mit der Wiedergabe über Lautsprecher vergleichbar, aber gerade diese andersartige Qualität hat einen ganz eigenen Reiz und macht für mich das Hi-Fi-Erlebnis überhaupt erst vollständig. Umso überraschter bin ich, dass mir viele Hersteller, besonders amerikanische und asiatische, davon erzählen wie klein der Markt speziell für hochwertige In-Ears in Deutschland noch ist. Noch kleiner scheint der Markt für angepasste In-Ear Monitore (Custom-In-Ears-Monitors, kurz CIEM), deren ursprünglicher Zweck es ist, Bühnenmusikern zu ermöglichen, ihre Mitmusiker und sich selbst bei gleichzeitigem Schutz der Ohren besser zu hören. Ich hoffe, ich kann Sie mit meiner Begeisterung anstecken und wünsche Ihnen viel Spaß bei meinen letzten Messeberichten, den beiden CanJam-Specials.

 

Vom MOC zum Kohlebunker zu finden, ist eigentlich nicht schwer, dennoch sind die drei Italiener die ich auf dem Weg dorthin treffe, auch nicht so sicher in welche Richtung es geht. Nach kurzer Google-Recherche ist diese Frage beantwortet und wir machen uns gemeinsam auf den Weg. Es stellt sich heraus, dass die Drei zum Messestand von SPIRIT, einer jungen Kopfhörermanufaktur aus Turin, gehören und ihre Kollegen das erste Mal ablösen. Ich verspreche, später vorbeizuschauen und mir ihre Entwicklungen anzuhören. An der Straßenecke, an der es gilt abzubiegen, sitzen zwei CanJam-Guides in weißen Shirts auf einer Klappbank und weisen uns den Weg zum Eingang. Wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die sich nicht so ganz sicher sind, wo sie hin müssen. Im Kohlebunker empfängt uns industrieller Betoncharme mit einer Menge Glas. Das hat den Vorteil, dass man trotz Messe mal etwas vom genialen Sommerwetter zu sehen bekommt, und schafft eine sehr angenehme Atmosphäre zum Testen, Plaudern und Verweilen. Allgemein fällt die CanJam ruhiger aus, als die High End selbst, in erster Linie natürlich in Ermangelung von Lautsprechervorführungen, aber auch die Produktpräsentationen selbst sind unaufwendiger. Alle scheinen hier mehr Zeit zu haben und der Besucherstrom ist auch weniger groß als auf der Hauptmesse. Trotzdem ist genug los, um nicht immer sofort an seinem Wunschmessestand los hören zu können. Was aber nicht weiter tragisch ist, schließlich ist das Produktangebot sehr vielseitig und interessant. Da besucht man zunächst einfach mal den Nachbarstand. Alle Aussteller geben den Interessenten viel Zeit, ihre Kopfhörer oder In-Ears zu testen, für letztere steht meist eine Palette an Ohrpassstücken zur Verfügung. So finden auch Einsteiger den perfekten Sitz, sei es mit den am weitesten verbreiteten Silikonaufsätzen in Pilzform, Schaumstoffaufsätzen mit hoher Dämpfungswirkung oder Aufsätzen mit drei Lamellen in Tannenbaumform.

Da vor kurzem der LCD-X – für 1.500 Euro im Creator’s Package erhältlich – zum Test auf meinem Schreibtisch lag, ist meine erste Adresse der Stand vom Audeze-Vertrieb audioNEXT, um endlich mal die gesamte Bandbreite des Audeze-Angebots zu hören. Nebenan treffe ich die Kollegen von SPL wieder, praktischerweise haben die beiden Hersteller Produkte ausgetauscht, so kann ich die Magnetostaten nicht nur an einem Burson Conductor V2+ für 1.800 Euro, sondern auch an einem Phonitor e, x und xe hören. Als erstes nehme ich mir den LCD2 Classic vor, der mit einer Preisempfehlung von 900 Euro den preiswerten Einstieg in die LCD-Serie bietet. Audeze beschreibt den Sound des Kopfhörers als warm. Was ich im Vergleich zu Kopfhörern anderer Hersteller nur bedingt passend finde, macht innerhalb der Produktpalette von Audeze durchaus Sinn. Um dies besser nachvollziehen zu können, sollte man sich zunächst eines der Flaggschiffe LCD-4 oder LCD-4z für 4.850 Euro anhören. Sie bieten den gewohnt ausgewogenen, extrem hochauflösenden Sound, den man bei Audeze erwartet. In diesem Fall heißt extrem auch wirklich extrem und ist nicht nur eine Floskel. Die Reproduktion von Beckensounds, besonders Hi-Hats, habe ich in dieser Form noch auf keinem anderen Kopfhörer gehört. Der Achtelgroove auf dem Hi-Hat in „Serpentine“ von Earth Wind & Fires „All 'n All“ schneidet sich geradezu durch den Mix, der Attack des Sticks auf der Beckenoberseite ist in seiner Dynamik so differenziert, als säße man direkt daneben. Das ist zwar sehr beeindruckend, aber eben auch sehr fordernd für die Ohren: Wer mal direkt neben oder an einem Schlagzeug gesessen hat, weiß wovon ich rede. Dennoch bieten beide LCD-4 eine der transparentesten Höhenwiedergaben, die ich kenne. In Hinblick auf diesen Fakt, kann man den LCD2 Classic tatsächlich als warm bezeichnen. Ihm fehlt diese überragende Durchzeichnung und Präsenz der Höhen, was ihn allerdings genau nicht zu einem schlechteren Hörer macht, er ist einfach ein bisschen entspannter. Bei fast gleichbleibender Wiedergabequalität und minimalster, sehr angenehmer, Färbung von Mitten und Tiefen nimmt er es mit jedem Mitbewerberprodukt ähnlicher Preisklasse problemlos auf, auch in Dingen Verarbeitungsqualität. Die Wiedergabe der Tiefen finde ich im Vergleich zum sonstigen Markt sogar leicht zurückgenommen. Deshalb passt für mich die Umschreibung warm in diesem Kontext weniger, als rein auf die Audeze-Familie bezogen. Die LCD-Reihe wird vervollständigt durch LCD-2 (ab 1.200 Euro) und LCD-3 (2.450 Euro) und den LCD-MX4 (etwa 3.600 Euro), der die Vorzüge von LCD-X und LCD-4 in sich vereinen soll. Nicht nur für Stereo-, sondern auch für Mehrkanalton bietet Audeze eine Lösung, den neuen Mobius. Neben der bewährten Ausführung als Magnetostat sorgen in diesem für den Gamingbereich und Immersion vorgesehenen Kopfhörer verschiedene Technologien für die Illusion von Raumton. Diese Fähigkeit wird mit dem Martial-Arts-Klassiker „House of Flying Daggers“ unter Beweis gestellt, jedoch habe ich keine Zeit gefunden, dies selbst einmal zu erleben, zumal ich keine Computerspiele nutze und in Dingen 5.1-Heimkinosound ausgestattet bin.

 

Wie versprochen besuche ich auch die Kopfhörermanufaktur SPIRIT, die mit elektrodynamischen Treibern in isobarischer Anordnung, also hintereinander, in offenen Kopfhörern aufwartet. Nach eigener Aussage die ersten ihrer Art. Das Topmodell Twin Pulse kostet 2.500 Euro und ist ebenso in Handarbeit in Turin gefertigt wie alle anderen Modelle auch. Es verfügt über eine Impedanz von 64 Ohm und soll bis zu 4.000 Milliwatt Leistung vertragen.

 

Ebenfalls aus Italien, allerdings aus Modena, kommen die Kopfhörerverstärker Lympha IT-HA1 der 2016 gegründeten Firma Modenaudio. Mit eigenständigem Design bei gleichermaßen überzeugender Haptik und Leistung stellen sie einen echten Blickfang dar. Sie verfügen über zwei Line-Eingänge und einen vorverstärkten Ausgang. Für den Anschluss eines Kopfhörers stehen zwei 6,3-Zentimeter-Klinkenbuchsen zur Verfügung, wobei eine der beiden beim Anschluss eines Kopfhörers den Line-Out stummschaltet. Auf der Oberseite befinden sich noch vier kleine Kippschalter mit denen die Quelle gewählt, der Lautstärkeregler am Line-Ausgang umgangen, +9 oder +20 Dezibel Gain gewählt und der Verstärker gemuted werden kann. Schlicht, durchdacht und wirkungsvoll. Für die Lautstärkeregelung wird auf ein ALPS RK271 „Blue Velvet“ gesetzt. Die Grundausstattung umfasst vier ausgewählte Hölzer und zwei Grundfarben. Prinzipiell sind der Kreativität bei der Wahl der Hölzer und RAL-Farben jedoch keine Grenzen gesetzt. Sogar Carbonoptik ist möglich, wie die vom Motorsport inspirierten Modelle in Rot und Gelb zeigen. Für ausgefallene Ideen muss man natürlich mit mehr als dem Grundpreis von 2.000 Euro rechnen.


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